Wu-Switch

Tim Wu ist US-amerikanischer Rechtswissenschafter und spezialisiert in Medienrecht. 2003 prägte er den Begriff Netzneutralität. Dieses Buch aus 2010 beleuchtet auf Basis von Schumpeters Wirtschaftstheorie des Zyklus von offenen Entwicklungen zu geschlossenen Produktimperien, von freiem Markt vieler zu Oligopolen und Monopolen, ob das Internet sich von einem offenen Medium zu einem geschlossenen entwickeln werde.

Basis seiner Ausführungen sind ausführliche, hochinteressante historische Rückblicke auf die Entwicklung der US-amerikanischen Telefonwirtschaft, der Filmindustrie, des Radio und des Fernsehens. Der Zyklus sei immer ähnlich gewesen: Von freien Anfängen hin zu staatlich geförderten Monopolen sowie deren Zerschlagung auf Basis von Anti-Trust-Gesetzen bzw. Gesetzen der Deregulierung. Erst mit der Zerschlagung des Telefonmonopols von Bell bzw. AT&T in den 1980er Jahren sei der Beginn der Internetrevolution möglich gewesen, da Bell und AT&T lange Zeit per Vertrag verhindert haben, dass Geräte von Drittanbietern (Fax-Geräte, Modems) für ihr Netzwerk verwendet werden dürfen.

Für das Internet sieht Wu die Entwicklung noch nicht entschieden. Für ihn sind zwei Regulationsentscheidungen bedeutend, dass das Internet nicht von einem Oligopol oder Monopol beherrscht wird:


  1. Netzneutralität: Es darf kein Premium-Service für Datenpakete geben. Alle Datenpakete müssen gleichrangig weitergeleitet werden.
  2. Segregation: Netzbetreiber (Hardware des Netzes bzw. Backbones), ISPs (Internetprovider) und Contentanbieter müssen getrennt bleiben. Niemand darf in zwei oder gar drei dieser Hauptbereiche tätig sein, wie es zum Beispiel in der Filmindustrie war und noch ist.


Vierzehn Jahre nach Erscheinen dieses Buches erscheint mir noch keine Entscheidung gefallen zu sein. Netzneutralität wurde 2020 in eine EU-Richtlinie aufgenommen (siehe Bundesnetzagentur). Die befürchtete Abschottung von Apple erfolgte nicht in der prognostizierten Radikalität, die gepriesene Offenheit von Google mit Android ist auch keine hundertprozentige.

Die Systeme sind weiterhin offen, eher mischt sich der Staat ein mit Überwachung (Wu bringt das Beispiel des Room 641A im Gebäude von AT&T in San Francisco, durch den ab 2003 der komplette Internet-Traffic geleitet und von der NSA abgegriffen wurde - die Enthüllung war 2006, also noch lange vor Snowden). Und China zeigt, wie man über ein Nadelöhr des Backbones Seiten ausknipsen kann (auch die EU kann es, wie es derzeit mit dem Blockieren von russischen Medienagenturen gezeigt wird).

Der andere Aspekt ist die Selbstzensur der Content-Vermittler, die in den USA nichts Neues ist, Hollywood hat sich von den 1930er bis zu den 1960er Jahren einen Kodex auferlegt, was alles nicht thematisiert werden darf bzw. wie Themen präsentiert werden sollen. In den USA ist das juristisch kein Problem, da das Recht auf freie Meinungsäußerung in der Verfassung nur festlegt, dass keine Gesetze verabschiedet werden dürfen, welche das Recht auf freie Meinungsäußerung beschneiden. Wie es Private handhaben, ist in der Verfassung nicht festgelegt.

Letztlich ein immer noch aktuelles Buch mit einem grandiosen historischen Teil.